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Anmerkung zu:BSG 12. Senat, Urteil vom 20.07.2023 - B 12 BA 1/23 R
Autor:Winfried Pietrek, Verwaltungsoberrat
Erscheinungsdatum:02.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2017-03-2 SGB 4, § 1 SGB 6, § 5 SGB 5, § 20 SGB 11, § 25 SGB 3, § 164 BGB, § 1 AÜG, § 9 AÜG, § 10 AÜG, § 2 SGB 6, Art 2 GG, Art 14 GG, Art 12 GG, § 6 SGB 5, § 117 BGB, § 32 SGB 1, § 7 SGB 4, § 7a SGB 4, § 23c SGB 4, § 5a GmbHG
Fundstelle:jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Pietrek, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Sozialversicherungspflicht trotz Zwischenschaltung einer Ein-Personen-UG bei Dreiecksverhältnis



Orientierungssatz zur Anmerkung

Übt ein Krankenpfleger, der zugleich der alleinige geschäftsführende Gesellschafter einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) ist, in deren Auftrag für einen Krankenhausträger eine Pflegetätigkeit aus, ist das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Krankenhausträger und der Pflegekraft nicht ausgeschlossen.



A.
Problemstellung
Strittig war die im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV) vom Rentenversicherungsträger (Beklagte) getroffene Feststellung, dass der Kläger die Tätigkeit als Krankenpfleger im Jahr 2017 – ungeachtet der „Zwischenschaltung“ einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) i.S.d. § 5a GmbHG – für den Krankenhausträger (Beigeladene) als sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter ausübte. Vorliegend lag ein Dreiecksverhältnis vor, da unmittelbare Vertragsbeziehungen nur zwischen dem Kläger und der UG sowie der UG mit dem Krankenhausträger bestanden. Der Kläger fungierte als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der UG und wurde zugleich auf der Grundlage der zwischen der UG und dem Krankenhausträger geschlossenen Dienstleistungsverträge als Honorar-Pflegekraft eingesetzt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Jahr 2016 schloss die UG mit dem Kläger als alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer der UG einen Anstellungsvertrag ab und legte ein monatliches Bruttogehalt i.H.v. 500 Euro und eine Tantieme i.H.v. 15 v.H. des Jahresgewinns fest. Zugleich vereinbarte die UG für den Kläger eine Berufshaftpflichtversicherung. Für die UG war außer dem Kläger lediglich eine geringfügig beschäftigte Bürohilfe tätig.
Anschließend schloss der Kläger als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der UG (vertraglich als „Auftragnehmer“ bezeichnet) jeweils Verträge für Pflegedienstleistungen mit dem beigeladenen Krankenhausträger („Auftraggeber“) ab. Auf Basis dieser Dienstleistungsverträge setzte der Krankenhausträger den Kläger als ausgebildeten Krankenpfleger für mehrere Monate im Jahr 2017 ein.
Mit den Dienstleistungsverträgen verpflichtete sich die UG, fachlich geeignetes Personal zur Durchführung von Krankenpflegeleistungen bereitzustellen. Zwischen der UG und dem Krankenhausträger war „Weisungsfreiheit“ vereinbart. Die UG war berechtigt, einzelne Aufträge des Krankenhausträgers ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Die für die Erbringung der Dienstleistungen erforderlichen Hilfsmittel (z.B. Einmalhandschuhe, Dienstkleidung) waren grundsätzlich von der UG oder auf Verlangen des Krankenhausträgers unentgeltlich bereitzustellen. Der UG stand bei persönlicher Verhinderung ihres Personals ein außerordentliches Kündigungsrecht zu. Die Haftung der UG war vertraglich vereinbart. Der Kläger bezog für Pflegedienstleistungen ein Stundenhonorar i.H.v. 36 Euro, während die festangestellten Arbeitskräfte des Krankenhausträgers 15,50 Euro erhielten. Unabhängig vom Dienstplan der festangestellten Arbeitskräfte wurde der Kläger mit einer kurzen Vorlaufzeit für Pflegediensttätigkeiten eingesetzt.
Im August 2018 beantragte der beigeladene Krankenhausträger bei der Beklagten im Rahmen eines optionalen Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV i.d.F. v. 29.03.2017, gültig vom 05.04.2017 bis 31.03.2022), das zwischen dem Kläger und dem Krankenhausträger bestehende Auftragsverhältnis im Hinblick auf die Ausübung von Krankenpflegetätigkeiten zu beurteilen.
Mit Bescheid vom Januar 2019 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger die im Jahr 2017 in einzelnen Monaten ausgeübte Tätigkeit als Krankenpfleger für die Beigeladene als abhängig Beschäftigter ausgeübt habe und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. Den daraufhin vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom April 2019 zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage war erstinstanzlich erfolgreich. Das SG Chemnitz stellte mit Gerichtsbescheid fest, dass der Kläger seine Tätigkeit für die Beigeladene nicht als sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter erbracht habe. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts auf und wies die Klage ab.
Die Revision des Klägers und der beigeladenen UG waren begründet. Das BSG hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen, da im Jahr 2017 keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden waren, um ausschließlich auf der Grundlage des vom Kläger erzielten Jahresarbeitsentgelts abschließend über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung entscheiden zu können.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist (BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R Rn. 14 - Fachärztin für Anästhesie, „Honorararztentscheidung“). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen, und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben (BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R Rn. 15). Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind und von der Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen auszugehen ist. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt festzustellen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen.
Bei der Rechtsfigur des Typus werden die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschrieben. Den jeweiligen Typus und dessen Kenntnis setzt das Gesetz stillschweigend voraus; es übernimmt ihn so, wie ihn der Gesetzgeber in der sozialen Wirklichkeit idealtypisch, d.h. im Normal- oder Durchschnittsfall vorfindet. Es ist nicht erforderlich, dass stets sämtliche als idealtypisch erkannten, d.h. den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) vorliegen; vielmehr ist das Gesamtbild maßgeblich (BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.05.1996 - 1 BvR 21/96 Rn. 7).
Bei Verträgen, die zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Personen-UG für einen Dritten geschlossen werden und nicht auf eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung gerichtet sind, wird ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach Ansicht des BSG nicht dadurch ausgeschlossen, dass ausdrückliche vertragliche Beziehungen nur zwischen der UG und dem Dritten bestehen.
Das BSG führt aus, dass der Kläger in seiner Funktion als Geschäftsführer der UG ausdrücklich in deren Namen den Vertrag zur Erbringung von Pflegedienstleistungen mit der Beigeladenen abgeschlossen hat; ein Handeln des Klägers im eigenen Namen war nicht erkennbar (§ 164 Abs. 2 BGB). Eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung, in der die Tätigkeit des Leiharbeitnehmers zwar unter Eingliederung in die Arbeitsorganisation und Bindung an das Weisungsregime des Entleihers ausgeübt (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 21.02.2017 - BGBl I 2017, 258), aber kein Beschäftigungsverhältnis zu dem Entleiher begründet wird, verneint das BSG unter Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen dem Krankenhausträger und der UG ausdrücklich nicht auf eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung gerichtet war (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 21.02.2017 - BGBl I 2017, 258).
Die UG verfügte über keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bzw. über Beschäftigte mit einer Berufsqualifikation für Krankenpflegetätigkeiten, wobei die von der UG beschäftigte Bürohilfe die gegenüber dem Krankenhausträger geschuldeten Pflegedienstleistungen nicht hätte erbringen können. Die Hauptvertragspflicht der UG war nicht auf die Auswahl geeigneter Arbeitskräfte gerichtet. Eine für den Verleiher im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerüberlassung bestehende Verpflichtung, dem Entleiher jeweils Arbeitnehmer zur Förderung des Betriebszwecks zur Verfügung zu stellen, bestand vorliegend nicht (vgl. BAG, Urt. v. 05.07.2022 - 9 AZR 323/21 Rn. 17). Der Kläger fungierte zwar als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der UG, nicht jedoch als deren Arbeitnehmer.
Das BSG hat offengelassen, ob eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung mit der Folge vorliegt, dass wegen der Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Verträge (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer fingiert wird (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Das AÜG ist nach Ansicht des BSG nicht anwendbar, weil die UG (Verleiher) keinen Arbeitnehmer an den beigeladenen Krankenhausträger (Entleiher) überlassen hat (vgl. BAG, Urt. v. 17.01.2017 - 9 AZR 76/16 Rn. 21). Da der Geltungsbereich des AÜG nicht tangiert ist, hat das BSG keine Veranlassung gesehen, das Urteil des BAG vom 17.01.2017 (9 AZR 76/16 zum Arbeitnehmerstatus eines Alleingesellschafters und alleinigen Geschäftsführers einer Verleiher-GmbH bei „Selbstverleih“, vgl. Hamann, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 2) heranzuziehen und auf die vorliegende Fallkonstellation mit der UG zu übertragen.
Die bestehende Dreieckskonstellation zwischen der UG, dem Kläger und dem beigeladenen Krankenhausträger führt im Zusammenhang mit einer fehlenden erlaubten Arbeitnehmerüberlassung nach Auffassung des BSG dazu, dass ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem als Krankenpfleger tätigen Kläger und dem beigeladenen Krankenhausträger bestand. Zwischen dem Kläger und dem beigeladenen Krankenhausträger hat in tatsächlicher Hinsicht ein „Verhältnis zu einem Dritten“ bestanden. Wird eine vermeintlich selbstständige Tätigkeit im Rahmen weiterer Vertragsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und Dritten erbracht, sind auch diese weiteren Rechtsbeziehungen bei der statusrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen (BSG, Urt. v. 14.03.2018 - B 12 KR 12/17 R Rn. 24). Das BSG verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Gesetzgeber die Einbeziehung von Dritten in das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 2 Satz 1 SGB IV i.d.F. vom 16.07.2021 mit Wirkung zum 01.04.2022 ausdrücklich aufgenommen hat.
Die Voraussetzungen der sich aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ergebenden Eingliederungstheorie zum Bestehen einer Beschäftigung sieht das BSG vorliegend als erfüllt an. Demnach wird ein Beschäftigungsverhältnis regelmäßig bereits durch tatsächliche Verhältnisse begründet, aus denen sich die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die Bindung an ein Weisungsregime ergibt, sofern keine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt (BSG, Urt. v. 18.03.1987 - 9b RU 16/85 Rn. 13).
Die Legaldefinition des Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 Abs. 1 SGB IV setzt bereits nach seinem Wortlaut nicht das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags voraus, sondern knüpft – über den Begriff des Arbeitsverhältnisses hinausgehend – bei der Beschäftigung rechtlich an faktische Elemente an (BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R Rn. 19). Den tatsächlichen Verhältnissen ist dabei grundsätzlich ein größeres Gewicht als den vertraglichen beizumessen (BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R Rn. 24). Die grundsätzliche Trennung zwischen juristischen Personen und ihren Organen als natürliche Personen kann sozialversicherungsrechtlich durch die tatsächlichen Verhältnisse überlagert werden. Der Gesetzgeber stellte in diesem Zusammenhang in § 2 Satz 1 Nr. 9 lit. b SGB VI mit dem ergänzten Halbsatz 2 mit Wirkung zum 01.07.2006 (BGBl I 2006, 1402, 1405; BT-Drs. 16/1369, S. 2) klar, dass GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig nicht als arbeitnehmerähnliche Selbstständige der Rentenversicherungspflicht unterliegen, sondern bei Gesellschaftern als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft gelten.
Das BSG hebt hervor, dass bei der Entscheidung über das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht ausschließlich auf die individuelle konkrete Schutzbedürftigkeit eines Einzelnen (z.B. Beschäftigten bzw. Arbeitnehmers) abzustellen ist, sondern auch der Schutz der Versichertengemeinschaft durch eine solidarische Finanzierung einbezogen werden muss.
Nach den Gesamtumständen erbrachte der Kläger die von ihm gegenüber dem beigeladenen Krankenhausträger geschuldete Pflegediensttätigkeit nicht als Selbstständiger, sondern in einer für ein Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis typischen Weise. Der Kläger war in die arbeitsorganisatorischen Betriebsabläufe des beigeladenen Krankenhausträgers eingegliedert und unterlag deren Weisungen. Die Pflegediensttätigkeit des Klägers war vertraglich nicht ergebnis- oder projektbezogen umschrieben, sondern als fortlaufende Aktivität angelegt. Der Kläger hatte vorgegebene Einsatzzeiten einzuhalten und erhielt einen festen Stundensatz. Es bestand die Verpflichtung, mit dem vorhandenen Personal arbeitsteilig zusammenzuarbeiten und die zur Verfügung stehende Krankenhausausstattung zu nutzen. Der Kläger verrichtete die üblicherweise von angestellten Pflegefachkräften auf einer Krankenhausstation zu erbringenden Tätigkeiten.
Die Fachkompetenz und die ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Pflegekraft boten der UG keine durch unternehmerische Chancen oder Risiken geprägten Gestaltungsspielräume. Die UG konnte auch nicht nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen die Pflegetätigkeit des Klägers organisieren, um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen. Dass der Kläger die Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe der UG im Wesentlichen nach deren Vorstellungen und Weisungen auszuüben hatte, ist nach Ansicht des BSG aus den Umständen nicht erkennbar.
Pflegekräfte in einem Krankenhaus sind wegen der dort geltenden zwingenden normativen regulatorischen Rahmenbedingungen zur Leistungserbringung und zur Qualitätssicherung regelmäßig als abhängig Beschäftigte zu beurteilen (BSG, Urt. v. 07.06.2019 - B 12 R 6/18 R Rn. 30). Soweit in den Dienstleistungsverträgen vereinbart war, dass die zur Erbringung der Dienstleistung erforderlichen Hilfsmittel, Werkzeuge und Materialien, insbesondere Einmalschutzhandschuhe, aber auch die Dienstkleidung von der UG als Auftragnehmerin gestellt werden sollen, ist zu berücksichtigen, dass die Dienstleistungsverträge unter dem Vorbehalt eines anderweitigen Verlangens des Auftraggebers standen. Das Auftreten in eigener Arbeitskleidung mit einem Namensschild, welches die Bezeichnung „freiberufliche Pflegekraft“ trägt, steht der tatsächlichen organisatorischen Eingliederung im stationären Krankenhausbetreib nicht entgegen. Die Wahrnehmung der Pflegetätigkeit durch Dritte ist für die rechtliche Beurteilung der Eingliederung unerheblich (BSG, Urt. v. 19.10.2021 - B 12 R 17/19 R Rn. 37).
Einen verfassungsrechtlichen Verstoß im Zusammenhang mit der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) bzw. der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) hat das BSG verneint. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) liegt mangels einer objektiv berufsregelnden Tendenz ebenfalls nicht vor.
Das BSG konnte wegen eines möglichen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze (§ 6 SGB V) in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nicht abschließend über die Versicherungspflicht entscheiden, da das Landessozialgericht keine ausreichenden Feststellungen zu dem vom Kläger im Jahr 2017 erzielten Jahresarbeitsentgelt getroffen hatte.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung des BSG, wonach ausgebildete Krankenpflegekräfte ihre Tätigkeit trotz „Zwischenschaltung“ einer „Ein-Personen-UG“ – ohne dass das AÜG tangiert ist – nicht als Selbstständige, sondern als Beschäftigte für den jeweiligen Krankenhausträger ausüben, ist inhaltlich voll zuzustimmen (vgl. Felix, jM 2024, 105, 107). Das BSG stellt für das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses maßgebend auf die tatsächlichen Verhältnisse zwischen der Pflegekraft und dem Krankenhausträger ab. Dass eine vertragliche Beziehung nicht zwischen der Pflegekraft und dem Krankenhausträger, sondern nur im Verhältnis zwischen der UG (d.h. dem geschäftsführenden UG-Alleingesellschafter und der Pflegekraft in „Personalunion“) und dem Krankenhausträger bestand, war für die versicherungsrechtliche Beurteilung des BSG nicht maßgebend. Für das vom BSG bejahte Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses war es nicht geboten, auf die Annahme eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB), ein Verbot nachteiliger Vereinbarungen (§ 32 SGB I) oder die im Sozialrecht nicht geregelte Kategorie des Rechtsmissbrauchs zurückzugreifen (vgl. Felix, jM 2024, 105, 107).
Das Honorar der UG-Pflegekraft überstieg zwar das regelmäßig erzielte Arbeitsentgelt der fest angestellten Pflegekräfte des Krankenhausträgers. Die Honorarhöhe ist jedoch nur eines von mehreren Indizien, um bei der Gesamtwürdigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV eine selbstständige Tätigkeit von einem Beschäftigungsverhältnis abzugrenzen. Die Differenz zwischen der Höhe des gezahlten Honorars und den Arbeitsentgelten der festangestellten Pflegekräfte war nicht so hoch, um eine Eigenvorsorge der Honorar-Pflegekraft zuzulassen (BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 2/18 R Rn. 30).
Der personelle Engpass bei Pflegekräften („Pflegenotstand“), der z.B. die Unterbesetzung im Schichtdienst verursacht (BT-Drs. 20/10810, S. 28), führt im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung und allgemeinen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zu einem erheblichen Wettbewerbsdruck aller für die Gesundheitsversorgung verantwortlichen Akteure. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Flexibilität liegt es für Krankenhausträger nahe, Personalangebote Dritter zu prüfen und ggf. einen Statusantrag nach § 7a Abs. 1 SGB IV zu stellen, um Rechtssicherheit zu erlangen.
Die Durchführung eines optionalen Statusfeststellungsverfahrens ist auch dann möglich, falls die Statusfeststellung nicht nur für ein bestehendes, sondern wie hier für ein zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits beendetes Auftragsverhältnis beantragt wurde (BSG, Urt. v. 04.06.2009 - B 12 KR 31/07 R Rn. 32).
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hebt zwingende sozialversicherungsrechtliche Regelungen nicht auf, falls das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zu beurteilen ist. Krankenhausträger und Pflegekräfte können die insoweit bestehenden Probleme (z.B. mangelnde „Personalnachfrage“ bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wegen vermeintlich unattraktiver Arbeitsbedingungen) nicht dadurch lösen, indem ein Honorarvertrag vereinbart wird (vgl. BSG, Urt. v. 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R Rn. 38).
Ob neben der Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland (BT-Drs. 20/8804, S. 69) auch der Gesetzgeber tätig werden muss, um die flächendeckende Versorgung im Pflegebereich sicherzustellen (vergleichbar zu § 23c Abs. 2 SGB IV bei nebenberuflichen Notärzten; vgl. Pietrek, jurisPR-SozR 24/2023 Anm. 2), wird abzuwarten sein.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit dem vorliegenden BSG-Urteil des 12. Senats werden rechtsgestalterischen Überlegungen, Pflegekräfte durch Konstruktionen des Gesellschaftsrechts einem versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis zu entziehen, gegenstandlos (vgl. Felix, jM 2024, 105, 107). Die haftungsbeschränkte UG (als GmbH-Variante, BGBl I 2008, 2026), welche ein Stammkapital von mindestens einem Euro (BT-Drs. 17/10329) bis unter 25.000 (§ 5a Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 5 Abs. 1 GmbHG) voraussetzt, eröffnet keine Wege mehr, um Pflegekräfte als Selbstständige einzusetzen.



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